Ein Leben in Atemnot!

Ein Leben in Atemnot!

Wenn bei der Zucht von Tieren Schmerzen, Fehlbildungen und andere gesundheitliche Schäden aus wirtschaftlichen Gründen in Kauf genommen werden, bezeichnet man dies als Qualzuchten.

Bereits während des Studiums in meinem praktischen Jahr musste ich feststellen, dass eben diese Tiere tägliche Besucher der Klinik sind – und wir als Tierärzte können nur versuchen, das Leiden der Tiere, welches ihnen durch uns Menschen angezüchtet wurde, zu minimieren.

Wer ist betroffen?

Zu den Brachycephalen, also kurz- oder rundköpfigen Rassen, gehören mittlerweile viele Vertreter. Neben den bekannten Möpsen, Französischen und Englischen Bulldoggen zählen auch:

  • Boxer
  • Pekingesen
  • Shi-Tzus
  • Malteser
  • Boston Terrier
  • Chihuahuas
  • Cavalier-King-Charles-Spaniel

zu den an Atemnot leidenden Rassen.

Kein „süßes“ Röcheln

Als erstes möchte ich betonen:
Es gibt keine „rassetypischen“ Atemgeräusche.

Wenn es bei der Atmung zu Nebengeräuschen kommt, ist das schlichtweg krank!
Nicht süß, nicht niedlich, nicht typisch.

Versucht euch einmal an eure letzte Erkältung zu erinnern – oder an ein Gespräch mit jemandem, der nasal klang:
Welches Gefühl hattet ihr dabei?
Welcher Gedanke ging euch durch den Kopf?

Richtig: Dieser Mensch ist krank.

Also:
Warum empfinden wir etwas, das für uns eindeutig ein Symptom ist, bei unseren Hunden als niedlich?

Die Wahrheit hinter dem „Schnuffel“

Eine mögliche Erklärung ist die sogenannte Kognitive Dissonanz:
Dabei handelt es sich um eine extrem verzerrte Wahrnehmung der Realität, vor allem unter den Haltern brachycephaler Rassen.

Während diese Besitzer zwischen 70–90 % der anderen Vertreter ihrer Rassen als krank empfinden, wird häufig betont, dass aber ihr eigener Hund – der „Schnuffel“ – total gesund sei.
Diese Leute lügen nicht, sie empfinden es einfach so.

Hunde als Ersatzpartner?

Der Hund wird zunehmend zum Ersatz für menschliche Nähe.
Viele kaufen sich aus Einsamkeit oder als Sozialpartner-Ersatz einen Welpen.

Und was stört am Hund, wenn er den Menschen ersetzen soll?
Die lange Schnauze.

Schaut euch mal Bilder an:
Möpse und Französische Bulldoggen mit ihren parallel angeordneten Augen, flachen Gesichtern und nach oben gerichteten Mundwinkeln ähneln uns immer mehr.

Kümmern macht glücklich

Der zusätzliche Bonus: Wir können uns um sie kümmern.
Das Bedürfnis, zu betreuen und gebraucht zu werden, ist tief in uns verankert.

Wer krank ist, wird versorgt – das sorgt für:

  • ein Gefühl von Wohlbehagen
  • ein kleines bisschen Selbstlob
  • und sogar für Glückshormone

In der Gesellschaft bringt das Anerkennung – aber...

...zu welchem Preis?

Die schaurige Achterbahn der Fehlbildungen beginnt bei den Nasenlöchern.
Die sogenannte Stenose (Verengung) führt dazu, dass Hunde gegen den vierfachen Atemwiderstand atmen müssen.

Das fühlt sich an, als hättet ihr euer ganzes Leben lang eine schwere Erkältung.
Probiert’s aus:
Drückt eure Nasenflügel Richtung Nasenwurzel – und atmet.
Je kleiner eure Nasenlöcher, desto schwerer fällt das Atmen.

Gaumensegel und Trachealkollaps

Weiter geht es im Nasen-Rachenraum:
Das oft zu lange und zu dicke Gaumensegel erschwert die Atmung zusätzlich und muss häufig operativ entfernt werden.

Schon beim Menschen lösen leicht verlängerte Gaumensegel Schnarchgeräusche aus.

Doch damit nicht genug: Auch die Luftröhre ist betroffen.

Sie besteht eigentlich aus einem stabilisierenden Knorpelgerüst, damit sie sich beim Atmen nicht verengt.
Wird sie aber nur einen Zentimeter kleiner, erhöht sich der Atemwiderstand exponentiell – zur vierten Potenz!

Bei kurzschnäuzigen Rassen passiert oft ein sogenannter Trachealkollaps – das Gerüst bricht zusammen, im schlimmsten Fall bleibt kein Durchmesser mehr übrig:
Es drohen Erstickungsanfälle.

Auch das kann nur durch das Einsetzen von Plastik-Spiralen operativ behoben werden.

Operationen als Normalität

Wie ihr seht:
Es gibt zahlreiche Operationen, allein für diese Defekt-Zuchten.

An der Leipziger Uni-Klinik gibt es sogar eine eigene „Nasentruppe“, die sich ausschließlich auf diese Eingriffe spezialisiert hat.

Diese Tiere müssen neben dem Stress und den stundenlangen Narkosen auch noch:

  • invasive Eingriffe
  • Heilungsphasen mit Schwellungen
  • und im schlimmsten Fall Entzündungen

über sich ergehen lassen.

Und manchmal helfen selbst diese OPs nicht mehr.

Die erschreckenden Zahlen

  • Jeder 2. hat Atemprobleme beim Schlafen
  • Jeder 4. schläft im Sitzen, weil er Angst hat zu ersticken
  • Jeder 10. erleidet in seinem Leben mindestens einen Erstickungsanfall

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Autor*in

Nane Schonburg

Tierärztin mit Schwerpunkt auf Neurologie